Institutspreis Abschlussarbeiten 2021

Examenspreise des Instituts verliehen. Wir gratulieren Melissa Büttner, Jakob Heyer, Aaron Korn​, Tjard Richter, Felicitas Riedel und Magdalena Riedl!

Auch in diesem Wintersemester hat das Institut herausragende Abschlussarbeiten, die an den verschiedenen Arbeitsbereichen in der Zeit zwischen Okober 2020 und September 2021 abgeschlossen wurden, prämieren können. Wir gratulieren allen Preisträger*innen und freuen uns, diese hier kurz mit ihren Arbeiten vorstellen zu können.

 

Melissa Büttner Foto
Melissa Büttner Foto
Foto: Melissa Büttner

Melissa Büttner

Die Masterarbeit geht der Frage nach, welche Mentalitäten es bezüglich Mobilität und Nachhaltigkeit in der deutschen Bevölkerung gibt. Es wird die These vertreten, dass die aktuellen Mobilitätsmentalitäten zwar einerseits noch immer stark fossil geprägt sind, sich aber andererseits angesichts der zunehmenden sozial-ökologischen Krisenerscheinungen in einem konfliktreichen Transformationsprozess befinden. Um dies darzulegen, ist die Arbeit interdisziplinär angelegt und in zwei argumentative Schritte untergliedert. Zunächst wird in einer historischen Analyse beschrieben, wie sich Mobilitätsmentalitäten in den letzten Jahrhunderten entwickelt und verändert haben. Dabei wird deutlich, dass es eine Wechselwirkung zwischen bestimmten Energieträgern als materielle Basis der Mobilität und den Vorstellungswelten von Mobilität gibt. Dies dient als Ausgangspunkt für den zweiten Teil der Arbeit, der sich der empirischen Analyse sozial-ökologischer Einstellungen von Mobilität widmet. Hierfür wird durch faktoren- und clusteranalytische Verfahren anhand repräsentativer Daten der Umweltbewusstseinsstudie 2018 eine Typologie derzeitig vorherrschender Mobilitätsmentalitäten erstellt.

Die Analyse dieser acht idealtypischen Mentalitäten verdeutlicht, dass viele Elemente fossiler Vorstellungswelten von Mobilität in vier Mentalitätstypen noch immer existent sind: Automobilität, die im 20. Jahrhundert zum unmittelbaren Ausdruck der fossilen Lebensweise wurde, ist hier nach wie vor alternativlos und unumstritten. Ihr weiteres Wachstum, also der Ausbau der automobilen Infrastrukturen und eine prosperierende Automobilwirtschaft in Deutschland wird als wichtiges politisches Ziel betrachtet. Die Steigerungslogik, die sich durch die Nutzung fossiler Brennstoffe in die modernen Mobilitätsmentalitäten eingeschrieben hat, findet sich in Bezug auf unterschiedliche Verkehrsmittel in fast allen aktuellen Mentalitäten wieder. Gleichzeitig wird deutlich, dass der automobile Konsens des 20. Jahrhunderts am Zerbrechen ist, denn in vier Mentalitätstypen findet sie je unterschiedlich nuancierte, teils ökologisch begründete Kritik am Automobilismus sowie ein Wunsch nach Veränderung. Das Gesamtbild der Mentalitäten zeigt eine starke Polarisierung um die Frage der Zukunftsfähigkeit des Automobilismus und der Beharrung auf dem eigenen Privat-Pkw.

Jakob Heyer Foto
Jakob Heyer Foto
Foto: Jakob Heyer

Jakob Heyer

Ausgehend von aktuellen Herausforderungen wie der fundamentalen sozialen und ökologischen Krise bezieht sich die Masterarbeit auf die aktuelle Debatte über mögliche Grundzüge einer postkapitalistischen Produktionsweise. Die Arbeit argumentiert, dass der Fokus der aktuellen Diskussion auf moderne Konzeptionen eines Marktsozialismus fehlgeleitet ist, da diese nicht in der Lage sind, die substanzielle Struktur der kapitalistischen Produktionsweise als Marktwirtschaft zu überwinden. Vor diesem Hintergrund richtet sich der Blick auf die wiederauftauchende Frage nach Wirtschaftsplanung und insbesondere auf moderne Modelle einer demokratischen Planwirtschaft. Für deren adäquates Verständnis müssen zwei wichtige Quellen berücksichtigt werden. Erstens, die wichtigen historischen Erfahrungen und zweitens, die wichtigen theoretischen Debatten.

Erstens wird Planwirtschaft aufgrund der historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts häufig mit Problemen wie Überzentralisierung, Autoritarismus, Bürokratismus und Ineffizienz in Verbindung gebracht. Zweitens entstand zu Beginn des 20. Jh. eine facettenreiche wirtschaftswissenschaftliche Debatte über das wirtschaftliche Kalkül im Sozialismus. Die Arbeit argumentiert: Jedes aktuelle Modell muss diese Voraussetzungen reflektieren und sich an den Grundproblemen nicht nur der kapitalistischen, sondern auch der verschiedenen Versuche des  Aufbaus einer sozialistischen Produktionsweise und den Reflexionen darauf messen lassen, insofern es die Überwindung dieser Probleme plausibilisiert. Die Arbeit versucht  diese wichtigen Grundlagen im Zusammenhang zueinander zu erfassen und auf  dieser Basis Grundprobleme und Grundkategorien zu erarbeiten, die für das Verständnis der aktuellen Modelle von Bedeutung sind. So lassen sich die neueren Modelle adäquater, weil systematisch einordnen und verstehen.

Die Arbeit stellt dann diese Modelle in Relation zu den herausgearbeiteten Grundproblemen und Grundkategorien dar und wendet sich dabei insbesondere Modellen zu, die genau die oben beschriebenen Ansprüche aufgegriffen haben. Die Modelle von Pat Devine und David Laibman scheinen die avanciertesten Modelle zu sein, insofern sie auf der breiten Reflexion sowohl der historischen Erfahrungen als auch der ökonomischen Debatten basieren und daher den historischen und theoretischen Voraussetzungen am ehesten gerecht zu werden scheinen. Sie operationalisieren eine demokratische Planwirtschaft, die darauf abzielt, die Herrschaft von Marktkräften durch umfassende Planung zu überwinden und dabei jedoch lokales, implizites Wissen zu inkorporieren. Sie zeichnen sich dadurch aus, weder die zentrale noch die dezentrale Ebene, weder politische noch technische Prozesse verabsolutieren, sondern vermitteln zu wollen. Die Arbeit diskutiert diese Modelle dann gegeneinander und kritisiert sie, um hiervon ausgehend Perspektiven für weiter zu leistende Forschung aufzuzeigen.'

Aaron Korn Foto
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Foto: Aaron Korn

Aaron Korn

Ausgangspunkt der Masterarbeit ist die Feststellung, dass der mediale, aber auch der wissenschaftliche Blick auf männliche Jugendliche, einseitig ist und oftmals auch Männlichkeitsstereotypen reproduziert. Sie gelten als risikobereit, gewalttätig und verantwortungslos, außerdem seien ihre schulischen Leistungen im Vergleich zu Mädchen schlechter. Sorge bzw. Fürsorge bilden sowohl in den theoretischen Konzepten als auch in der empirischen Männlichkeitsforschung eine Leerstelle. Ziel der Arbeit ist es deshalb, alltägliche Fürsorgeerfahrungen von männlichen Jugendlichen sichtbar zu machen.

Dafür wird zunächst anhand einer differenzierten Aufarbeitung von theoretischen Konzepten und empirischen Studien an den Schnittstellen von Care/Fürsorge, Adoleszenz und Männlichkeit mögliche Zusammenhänge und Leerstellen im Forschungsfeld aufgezeigt. Daran anknüpfend wird ausgehend von der feministischen Care-Ethik ein Care Begriff entwickelt, der die interaktiven, emotionalen und leiblich-affektiven Dimensionen von Care in den Lebenswelten männlicher Jugendlicher fokussiert. Um die komplexen Dynamiken von Fürsorgebeziehungen empirisch zu untersuchen, wird auf die Methode der Tiefenhermeneutik zurückgegriffen, weil sie mögliche Verdeckungen von Care in männlichen Lebensentwürfen über die Analyse der Tiefenstrukturen sozialer Interaktionen in den Blick nehmen kann. Ausgangspunkt der qualitativen Untersuchung sind zwei Interviews, die im Rahmen des DFG-Projekts „Fürsorgliche Jungen? Alternative (Forschungs-)Perspektiven auf die Reproduktionskrise“ geführt worden sind. Die Analyse der Fälle Berat Essa und Yannick Zeiler zeigt, dass Care als emotionale und intime Praxis mittels der Übernahme von Verantwortung im Sinne des care-giver mit gesellschaftlichen Männlichkeitsanforderungen vereinbar ist und deshalb in den eigenen Selbstentwurf integriert werden kann. Ambivalenzen zeigen sich hingegen bei den Jugendlichen hinsichtlich des care-receiving.

Tjard Richter Foto
Tjard Richter Foto
Foto: Tjard Richter

Tjard Richter

Die Masterarbeit beschäftigt sich mit den Einflussfaktoren und Ursachen des Gender Pay Gaps und untersucht, welches Gegensteuerungspotential sich aus dem nationalen Pakt „Komm, mach MINT“ ergibt. Der Pakt aus 2008, welcher als politisches Korrektiv primär dem Fachkräftemangel des Landes begegnen soll(te), scheint für die Nivellierung des Gender Pay Gaps eine interessante Perspektive zu bieten: Trotz aller Terraingewinne der weiblichen Genusgruppe in Bildungs- und Erwerbsfragen findet sich in Deutschland weiterhin eine persistierende Arbeitsmarktsegregation qua Geschlecht. Weibliche Berufsaspirationen sind überwiegend in sozialen, erzieherischen oder medizinischen Berufsfeldern, in der Lehrtätigkeit sowie im allgemeinen Dienstleistungssektor verortet und verzeichnen, konträr zu gleichwertigen Berufen mit numerischer Männerdominanz, u.a. eine schlechtere Vergütung und weniger Opportunitätsstrukturen.

Die verschiedenen Pakt-Maßnahmen (z.B. Broschüren, Präsenz bei Messeveranstaltungen), die die Akteurinnen für die männlich konnotierten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) motivieren sollen, werden hinsichtlich ihrer Gegensteuerungspotentiale im Ursachenkonstrukt des Gender Pay Gaps untersucht. Betrachtet werden drei Analyseebenen: die Mikro-, Meso- und Makroebene.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Pakt ungeeignet erscheint, dem ungleichheitsgenerierenden Segregationsmuster entgegenzuwirken. Er berücksichtigt nicht die Hemmnisse im sozialen Umfeld: Sozialisationsbedingte Vorurteile vom Elternhaus, den Lehrkräften sowie den Peers, welche die geschlechtsuntypischen Berufsaspirationen von Frauen konterkarieren können,  werden weitgehend ignoriert. Zudem greifen die Maßnahmen zu spät im Lebensverlauf und sind zu punktuell. Auf der Mesoebene ist ein analoges Problem zu finden: Wenn eine Frau eine männerdominierte Arbeitsmarktsphäre betreten will, erfährt sie oft personalpolitische Geschlechterdiskriminierung im Auswahlprozess. Der Pakt ist zwar bemüht, die Frauen zu stärken, indem er bspw. zur Bildung von Frauennetzwerken aufruft; eine arbeitergeberseitige Antidiskriminierungsstrategie fehlt jedoch.

Doch selbst wenn der Pakt die Geschlechterungleichverteilung transformieren könnte, würde sich der Gender Pay Gap kaum dauerhaft verändern: Die geringere Entlohnung frauendominierter Berufe beruht auf dem Umstand der gesellschaftlichen Dominanz von Männlichkeit(en) gegenüber Weiblichkeit(en). Strukturtheoretische Ursachenerklärungen auf der Mesoebene (bspw. die unzureichende Betreuungsinfrastrukturlandschaft für Kleinkinder in Westdeutschland) werden zudem überhaupt nicht tangiert.

Felicitas Riedel Foto
Felicitas Riedel Foto
Foto: Felicitas Riedel

Felicitas Riedel

In dieser Masterarbeit wird kritisch hinterfragt, inwiefern marktwirtschaftliche Klimaschutzmaßnahmen einen Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit in einer Gesellschaft leisten können. Zu diesem Zweck wird untersucht, welche Verteilungswirkungen die CO2-Steuer in drei verschiedenen Wohlfahrtsstaaten – Frankreich, Schweden und Kanada am Beispiel der Provinz British Columbia – in der Bevölkerung entfaltet. Durch eine intersektionale Herangehensweise werden nicht nur die Auswirkungen auf die Einkommensverteilung betrachtet, sondern auch Interaktionen mit den Kategorien Geschlecht, Ethnizität und Wohnort berücksichtigt.

Es zeigt sich, dass die CO2-Steuer in British Columbia aufkommensneutral ausgestaltet und mit umfassenden Rückverteilungsmechanismen an die Bevölkerung verknüpft ist, wodurch sie progressiv auf die Einkommensverteilung wirkt. Frauen und die indigene Bevölkerung werden jedoch tendenziell überproportional belastet. In Frankreich ist die CO2-Steuer weder aufkommensneutral ausgestaltet noch mit einem Rückverteilungsmechanismus verknüpft, woraus sich eine regressive Wirkung auf die Einkommensverteilung ergibt. Aufgrund der hohen Kraftstoffpreise wird außerdem die ländliche Bevölkerung besonders stark belastet. In Schweden wurde die CO2-Steuer im Rahmen einer umfassenden Steuerreform eingeführt, sodass sie als aufkommensneutral gelten kann. Da Rückverteilungsmechanismen, Entlastungen für Privathaushalte oder begleitende sozialpolitische Maßnahmen jedoch fehlen, ergibt sich eine leicht regressive Wirkung auf die Einkommensverteilung und eine besondere Belastung für die ländliche Bevölkerung.

Basierend auf diesen Erkenntnissen wird diskutiert, inwiefern sich die sozialen Verteilungseffekte durch die wohlfahrtsstaatliche Ausrichtung der drei Länder und den damit einhergehenden Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit erklären lassen. Hierzu wird die Wohlfahrtsstaaten-Typologie von Gøsta Esping-Andersen herangezogen, nach der sich Frankreich als konservativer, Schweden als sozialdemokratischer und Kanada als liberaler Wohlfahrtsstaat klassifizieren lässt. Es zeigt sich, dass sich lediglich einzelne Aspekte der CO2-Steuer aus den Gerechtigkeitsvorstellungen des jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Regimes erklären lassen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich bei den betrachteten Ländern um wohlfahrtsstaatliche Mischtypen handelt und unterschiedliche sozialpolitische Strömungen auf ihre Ausrichtung Einfluss genommen haben. Die Ergebnisse der Arbeit verweisen auf die Notwendigkeit, Klimafragen enger mit Gerechtigkeitsfragen zusammenzudenken und die sozialen Verteilungswirkungen marktwirtschaftlicher Klimaschutzmaßnahmen stärker nach intersektionalen Kriterien zu beurteilen.

Magdalena Riedl

Vor dem Hintergrund sozialer Beschleunigung, Datafizierung und Ökonomisierung lässt sich in der Moderne eine Loslösung traditioneller Bindungen und ein Wandeln moderner Kerninstitutionen beobachten. Für die Akteure bedeuten diese Dynamiken auf der einen Seite gesteigerte Handlungsmöglichkeiten und -spielräume aber auf der anderen Seite auch der Wunsch nach Ordnung und Kontingenzreduktion. In einem auf immaterielle Ressourcen ausgerichteten Kapitalismus werden dabei verschiedene Aspekte des Körpers zunehmend relevant für ökonomische Wertschöpfungsketten. Stefan Selke beschreibt in diesem Zusammenhang mit dem Begriff des „Lifelogging“ die digitale Erfassung des Lebens in Echtzeit und einer dadurch ausgelösten Verschiebung des sozialen Blicks auf den Menschen. Als ausschlaggebend für diese Entwicklung wird die zunehmende Quantifizierung betrachtet. Auch das Projekt „Das vermessene Leben“ beschäftigt sich mit den ambivalenten Folgen einer in hohem Maße auf quantitative Steigerung ausgerichteten Optimierungslogik, wie sie im Zuge des digitalen Wandels an Bedeutung gewonnen hat. Dabei ist noch nicht geklärt, worin der kategoriale Unterschied qualitativer und quantitativer Selbstthematisierung besteht und worin die vermeintliche Besonderheit quantitativer Selbstvermessung liegt. An dieser Stelle knüpft die Masterarbeit an, indem sie den Erkenntnissen aus der Forschung zu quantitativer Selbstvermessung eine empirische Untersuchung qualitativer Selbstthematisierung gegenübergestellt und durch eine Analyse der digitalen Selbstdarstellung auf Instagram zeigt, dass nicht die Quantifizierung, sondern vielmehr der auf Dauer gestellte (öffentliche) Vergleich und die Bewertung der Subjekte entscheidend ist. Die vorgenommene zweiteilige Untersuchung forscht nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten quantitativer und qualitativer Selbstthematisierung und stellt die in der Literatur konstatierte „Herrschaft der Zahl“ in Frage.