Forschung
Sonderforschungsbereich 294 "Strukturwandel des Eigentums"
Teilprojekt C05 „Eigentum an Hochschulen. Deutschland, Brasilien, Vereinigtes Königreich“
Projektlaufzeit: 01.01.2025 - 31.12.2028
Projektleitung: Prof. Dr. Mike Geppert, Prof. Dr. Tilman Reitz
Mitarbeiter*innen: Andrea Dietl, Marlen van den Ecker
Studentische Assistenz: Theresa Kraiger
Förderung: DFG
Seit gut 25 Jahren wird über „akademischen Kapitalismus“ diskutiert. Dennoch sind Hochschulen in vielen Ländern öffentliche, staatlich (oder philanthropisch) subventionierte Einrichtungen geblieben. Allerdings haben auch an öffentlichen und nicht profitorientierten Hochschulen strategische Neuausrichtungen stattgefunden, die die Eigentumsverhältnisse verändern. So wurde vielerorts die Autonomie in der Bewirtschaftung universitärer Ressourcen erhöht. Vermögen und Personalbudgets werden in vielen Hochschulsystemen zunehmend nach privatwirtschaftlichen Mustern verwaltet, die Einnahmen durch Studiengebühren und die Verwertung von Forschungsergebnissen werden gesteigert, und staatliche Gelder werden vermehrt wettbewerbsbasiert vergeben. Daraus ergibt sich die Frage, wem mittlerweile die Einrichtungen und das akademisch hervorgebrachte Wissen gehören. Zugleich bleibt zu klären, ob unterschiedliche akademische Eigentumsformen funktional äquivalente Rollen spielen – wenn etwa in einigen Ländern staatliche Trägerschaft von Hochschulen dominiert, während sie sich in anderen überwiegend durch z.T. staatlich subventionierte Studiengebühren finanzieren. Somit bleibt offen, ob sich mit unterschiedlichen nationalen Strategien divergente wissenskapitalistische Ordnungen entwickeln.
Koproduktion in polarisierten Stadtgesellschaften – Wie Städte und Gemeinden Beteiligung erneuern und antidemokratische Entwicklungen aufhalten können
Beteiligte: PD Dr. Peter Bescherer, Institut für Soziologie, Uni Jena
Laufzeit: 01.11.2024–31.10.2025
Förderung: vhw – Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung
Gesellschaftliche Krisen und Transformationsprozesse sind vielfältig: Sozial-ökologischer Wandel, Digitalisierung, Demografie oder Migration. Was Veränderung bedeutet und wie die Herausforderungen angenommen werden, entscheidet sich besonders im lokalen Alltag. Gleichzeitig fühlt sich dieser Alltag für viele Menschen fremdbestimmt an, wichtige Entscheidungen über die eigenen Lebensverhältnisse werden offenbar anderswo getroffen. Diese Erfahrungen von Ohnmacht und politischer Entfremdung äußern sich nicht zuletzt in antidemokratischen und autoritär-populistischen Bewegungen, auf die wiederum zivilgesellschaftliche Initiativen und soziale Bewegungen reagieren. Um Transformationsprozesse zu befördern, werden in aktuellen Stadtentwicklungsdiskursen vielfach die Stärkung des gestaltenden Staates mit erweiterten Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger als zentrale Voraussetzungen angesehen (vgl. Schellnhuber 2011). Neben Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft wird auch ein erweitertes Verständnis einer aktiven Verantwortungs- und Aufgabenteilung (Koproduktion) staatlicher und nicht-staatlicher Akteure diskutiert – und damit die ko-produktive, gemeinschaftliche Schaffung und Verwaltung öffentlicher Güter bzw. Gemeingüter. Koproduktionen mit Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik werden vielfach als Motor für Innovationen begriffen, sie stehen aber auch für die Übernahme partnerschaftlicher Verantwortung und für demokratische Teilhabe bei der Entwicklung von gemeinwohlorientierten Orten und Projekten.
In der Vergangenheit wurde jedoch vielfach deutlich, dass wesentliche Teile der Bevölkerung nicht an solchen Partizipationsprozessen beteiligt sind, auch aufgrund ungleicher Verwirklichungschancen und unzureichender ökonomischer und politischer Teilhabe. Diese fühlen sich meist wenig bzw. nur unzureichend repräsentiert oder schätzen den Einfluss von Partizipation und damit die eigenen Wirksamkeitserfahrungen als sehr begrenzt ein, auch durch einen oft nicht hinreichenden lebensweltlichen Bezug bestehender Partizipationsangebote. Gleichzeitig lässt sich in den letzten Jahren in Deutschland ein Erstarken rechter und antidemokratischer Parteien und Bewegungen beobachten, die auch an diesem Punkt der mangelnden Repräsentation und Wirksamkeit ansetzen und städtische Räume sowie Stadtentwicklungsdiskurse um Gemeingüter auf der lokalen Ebene zunehmend „besetzen“ (Begrich 2019; Bescherer 2019; Gerbsch/Bescherer 2019). Anfang des Jahres 2024 hat diese Entwicklung eine große Protestwelle gegen Rechtsextremismus und für Demokratie in großen und kleinen Städten ausgelöst. Stadtgesellschaften erscheinen damit (neben einer sozialen Spaltung/Polarisierung) zunehmend auch politisch polarisiert – so zeigt sich ein großes Potential für zivilgesellschaftliches Engagement und demokratische Vielfalt sowie ein wachsender Anteil von Menschen und Milieus, die nicht erreicht werden können und sich resigniert zurückziehen.
Daraus abgeleitet stellt sich hier die Frage, insbesondere mit Blick auf die mit den Zielen der Großen Transformation erforderlichen Weichenstellungen, wie es um die aktuelle Situation und somit die Rahmenbedingungen für eine Stärkung von Partizipation und Koproduktion steht. Während Koproduktion in erster Linie für den Bereich der sozialen Daseinsvorsorge diskutiert wird (Abt u.a. 2022; Bohne/Bauer 2023; Butzin/Gärtner 2017), leuchtet das Vorhaben den Zusammenhang mit Fragen von lokaler Demokratie und gesellschaftlicher Polarisierung aus.
Unerwünschtes Wissen: Zum Ausschluss der Psychoanalyse aus den Psy-Sciences in Westdeutschland, Großbritannien und den USA, 1950-1990
Beteiligte: Prof. Dr. Lisa Malich, Institut für Wissenschaftsforschung, Universität zu Lübeck Prof. Dr. Tilman Reitz, Arbeitsbereich Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie Dr. Mariana Schütt, Institut für Soziologie
Laufzeit: 01.06.2024 - 31.12.2025
Förderung: VW-Stiftung, Programmlinie Aufbruch – Neue Forschungsräume für die Geistes- und Kulturwissenschaften
Die Psychoanalyse bildet eine paradoxe Wissensform: Während sie in der therapeutischen Praxis als wissenschaftliches Verfahren anerkannt ist, gilt sie in den universitären Psy-Sciences als Inbegriff von Unwissenschaftlichkeit. Das Forschungsprojekt soll im Vergleich deutscher, britischer und US-amerikanischer Entwicklungen fragen, wie dieser Ausschluss trotz partieller und zeitweiliger Öffnungen zustande kam. Zu erklären ist jeweils, weshalb die anfänglichen institutionellen Erfolge der Psychoanalyse in der Nachkriegszeit nicht auf Dauer gestellt werden konnten und weshalb ihre kulturelle, politische und geisteswissenschaftliche Wirkmächtigkeit ihr akademisch womöglich eher geschadet hat. Der Ländervergleich hat dabei das Ziel, neben national spezifischen auch allgemeine Erklärungen für die akademische Nicht-Etablierung der Psychoanalyse zu gewinnen.
Wir konzentrieren uns hierfür einerseits auf die „Grenzarbeit“ der Psy-Sciences, die sich – auch angesichts der jeweiligen soziokulturellen und politischen Verortung der Psychoanalyse – als wissenschaftlich etablieren konnten. Andererseits nehmen wir den herausfordernd selbstreflexiven, nichtstandardisierten Charakter und die außerakademischen Stützpunkte, Infrastrukturen und Finanzierungsquellen der Psychoanalyse selbst in den Blick. Um dabei den fachwissenschaftlichen Debatten, den institutionellen Kontexten und den umstrittenen Kriterien von Wissenschaftlichkeit gerecht zu werden, wollen wir psychologiehistorische, psychoanalytische und wissenssoziologische Kenntnisse und Herangehensweisen verbinden. Wir hoffen so eine Lücke in der Wissenschaftsforschung zu schließen, indem wir uns an die Grenze wagen, an der Wissenschaftlichkeit selbst zur Diskussion steht.
Solidarität organisieren in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz (SONAR)
Gefördert vom BMBF, Laufzeit: Januar 2023 bis Dezember 2025
Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen: Judith Weger, Raoul Nozon, Peter Bescherer, Josephine Garitz, Marina Blum (wiss. Assistentin), Timon Thorsten Ahlborn (wiss. Assistent)
Projektkoordination und wissenschaftliche Mitarbeiter: PD Dr. Peter Bescherer
Projektleitung: PD Dr. Peter Bescherer
In Zeiten nicht enden wollender Krisen wird vielfach der Ruf nach mehr Solidarität laut. Zumeist verbleibt dieser Ruf auf einer symbolischen Ebene, der die getrennten Menschen unserer Gesellschaft wieder zusammenführen soll. Das Projekt SONAR sucht hingegen in der Praxis der Menschen nach dem Potenzial für gelebte Solidarität, die Trennungen überwindet. Ein Ansatz sozialer Bewegungen, der diese Praxis hervorbringt, ist das sogenannte Organizing in den Feldern der gewerkschaftlichen und nachbarschaftlichen (v.a. wohnungspolitischen) Konfliktaustragung. Hier kommen unter einem gemeinsamen Ziel unterschiedliche Mitglieder der Gesellschaft zusammen. Sie lernen sich kennen, bringen sich mit ihren eigenen Fähigkeiten ein und teilen Erfolge und Niederlagen.
Diese Gemeinsamkeit trifft aber auf die (scheinbar) individuellen Deutungsmuster, mit denen sich die Menschen ihre Welt erklären. Alltagsrassismus dient dabei oftmals als Erklärung für den Zustand der Gesellschaft und ihren Versagungen gegenüber dem Individuum. Ohnmachtserfahrungen und Ungerechtigkeitsempfindungen begünstigen die Rassifizierung gesellschaftlicher Zusammenhänge und schaffen somit erneut Raum für Rassismus und Rechtspopulismus.
Um dem entgegenzutreten, bedarf es der Erweiterung der gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit und der Erfahrung kollektiver Organisierung. Dabei hat Organizing nicht primär ein antirassistisches Ziel vor Augen. Vielmehr versuchen die Organizer:innen in ihren jeweiligen konkreten Zielstellungen, die Widersprüchlichkeit der alltäglichen Deutungsmuster – so auch des Alltagsrassismus – aufzuzeigen. Doch selbst wenn der Rassismus als gesamt-gesellschaftliches Problem anerkannt ist, kann man ihn nicht einfach durch richtige Argumente aufklären oder durch engagierte Pädagogik „weg-erziehen“. Antirassismus muss daher neben der Stärkung der Betroffenen rassistischer Diskriminierung an den sozialen Kontexten des Rassismus ansetzen. So können auch die Blockaden für die Individuen selbst gemeinsam kritisierbar werden. Die organisierte Basis zu erweitern und Trennungen zu überwinden sind Grundlagen des Organizings.
Hieran anschließend untersucht das Projekt SONAR Möglichkeiten und Grenzen des gewerkschaftlichen und nachbarschaftlichen Organizings bei der Bekämpfung von Rassismus und der Stärkung von Solidarität. Mithilfe von Methoden der rekonstruktiven Sozialforschung (qualitative Interviews, Ethnografie, aktivistische Forschung) wird erforscht, wie Teile der organisierten Beschäftigten und Mieter*innen ihre prekäre Arbeits- und/oder Wohnsituation unter Rückgriff auf Alltagsrassismus und rechten Populismus deuten. Im Gegenzug wird der These nachgegangen, dass die in Arbeits- oder Mietkämpfen erlebte Solidarität und kollektive Wirksamkeit rechte Denk- und Handlungsformen schwächen oder sogar auflösen können.
Mit Arbeitswelt und Nachbarschaft werden zwei soziale Felder in den Blick genommen und bezüglich ihrer Beziehungen betrachtet, in denen zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Teilhabe, Demokratie und Zusammenhalt stattfinden. Nachdem sie lange als verschiedene Sphären der Produktion und Reproduktion verstanden wurden, ist ihre Trennung aktuell mehr denn je zu hinterfragen.
Neben diesem sozialtheoretischen Erkenntnisinteresse zielt das Projekt auf anwendbare Ergebnisse ab, etwa auf Bildungsmaterialien für den Erfahrungstransfer zwischen beiden Praxisfeldern. Die geplante Forschung arbeitet damit die zweifellos umstrittene, aber gesellschaftspolitisch zentrale Rolle von gewerkschaftlicher und wohnungspolitischer Interessenvertretung bei der Stärkung der Demokratie heraus.
weitere Informtionen: https://sonar-projekt.de/Externer Link